Welche Bedeutung haben Berührungen für Körper und Geist und welche Wirkungen?
Die Wichtigkeit von Berührungen sowohl in meiner Tätigkeit als Masseurin als auch im Alltag interessiert mich sehr. Zwecks der Eindämmung der Corona Pandemie müssen wir auf Körperkontakte verzichten. Vielen wurde erst nach diesem Verzicht klar, wie wichtig Berührungen sind. Ich frage mich, ob wir nach der Pandemiezeit wieder einen normalen Umgang miteinander haben werden, ohne Berührungsängste. Was werden die Folgen von Distanz und Berührungsarmut in unserer Gesellschaft bewirken?
Das sagt die Wissenschaft
Die Wissenschaft hat sich lange nicht mit dem Tastsinn beschäftigt. Wo hingegen es tausende Untersuchungen über das Sehen gibt. Noch bis in die 1950er Jahre waren Umarmungen zwischen Kindern und Eltern nicht erwünscht. Nach fehlenden Forschungen über die heilende Wirkung von Berührungen wird nun doch über die Bedeutung von taktilen und haptischen Reizen geforscht.
- Haptischer Reiz: aktiv einen Gegenstand berühren
- Taktiler Reiz: Von jemand anderem berührt werden
Haptikforscher und Psychologieprofessor Martin Grunwald, Leiter Haptikforschung an der Universität Leipzig hat mehrere Studien zu diesem Thema durchgeführt:
Sein Fazit: Berührungsreize führen zu neuronalem und körperlichem Wachstum. Sie haben eine zentrale soziale Funktion. Das Gefühl «Wir sind nicht alleine auf der Welt.» Diese körperliche Ebene der Kommunikation dient stabile Beziehungen aufzubauen und zu halten fernab von aller sexueller Motivation. Durch Berührungsreize werden bestimmte Neurotransmitter und Hormone (zBsp. Oxytoxin) ausgeschüttet. Unser Gehirn verwandelt die Berührungsreize dann in Entspannungsreize also Entspannungsreaktionen. Die Körperinteratktion mit den Andern ist sozusagen in unserer biologischen und sozialen DNA. Sie ist geprägt von Erfahrungen, die wir als Kinder gemacht haben.
Zur Frage: Wie geht es nach der Corona Pandemie weiter?
«Vorallem die junge Generation wird sich ihren Körperkommunikation Raum wiedererkämpfen!» Wir werden nicht zu Online-Wesen mutieren. Dafür sorgt unsere biologische Grundausstattung beruhigt der Forscher.
Buch von Prof.Martin Grunwald: «Homo Hapticus»
Es gibt nun diverse Studien zu diesem Thema. Früher dachte man, dass Berührungen unsittlich sind. Man weiss heute, dass Berührungen, Zuwendung und Umarmungen essenziell sind und ohne das physische und psychische Defizite entstehen. Berührungen sind für unsere Gesundheit und Wohlbefinden enorm wichtig. Gesellschaftliche Berührungsarmut macht krank und depressiv. Wir berühren unsere Smartphones häufiger als unseren Partner. Im Vergleich zu Indien oder Afrika werden wir durch chronischen Berührungsmangel gefährdet.
Bereits ein Fötus fühlt sich geborgen im umschliessenden Druck der Gebärmutter. Bevor ein Ungeborenes sehen und hören kann, entwickelt sich sein Tastsinn. (5.Schwangerschaftswoche) Die älteste Kommunikation im Tierreich und beim Menschen ist die Berührung. Handschlag, Umarmungen, Kuss,…Berührungen haben verschiedene Bedeutungen:
- Umarmungen: Machen neugierig, dankbar, beruhigend, unbesorgt aber auch verwirrt, überwältigt
- Händedruck: Versprechen, Herzlichkeit aber auch Mitgefühl bei Trauerfall oder verlorenem Spiel
Oder etwa beim Tanzen wie dem Argentinischen Tango (lat. ich berühre) werden Glückshormone ausgeschüttet. Die enge Umarmung stillt den Wunsch nach Zuwendung und körperlicher Nähe und es führt zu einer hormonalen Veränderung. Aber auch wenn wir Gegenstände Berühren wie Steine, Muscheln, Bäume löst das Gefühle aus. Und auch in Altersheimen helfen Hundetherapien gegen die Einsamkeit durch das Streicheln der Vierbeiner.
Die Bedeutung von Brührungen in der Massage
Die Massage ist die älteste Heilmethode. Im Mittelalter verbot die christliche Kirche jegliche körperliche Berührung und körperliche Ertüchtigung wie Sport als unzüchtig. Massagen mit Heilkräuterölen wurden verboten und hart bestraft. Erst 1250 bis 1500 gibt es wieder Beschreibungen von Behandlungen. 1776 – 1839 wurde die klassische Massage durch Pehr Henrik Ling gegründet. Ein Masseur vermittelt taktile Reize, gleichzeitig spürt er Haut, Muskulatur und Faszien als haptische Reize. Massagen sind somit professionelle Berührungen, die nicht nur bei Rückenschmerzen und Verspannungen helfen sondern auch bei seelischen Störungen. Berühren heisst nicht nur körperlich sondern auch seelisch (rührend, gerührt…) Die Wirksamkeit von Massagen bei Depressionen, Angstzuständen, unspezifische Rückenschmerzen aber auch bei Gesunden wurde bestätigt.

Hier finden die Berührungen statt: Die Haut
Die Haut ist unsere Körperhülle und hält Muskeln und Organe zusammen. Sie besteht aus 3 Schichten:
Oberhaut (Epidermis):
- wichtigster Schutz gegen schädliche äussere Einflüsse ( UV-Strahlung, Bakterien, Viren)
- Säureschutzmantel,
- Duft und Schweissdrüsen
Lederhau(Dermis,Corium)t:
- Berührungsempfindungen, Sensibilität für taktile und haptische Reize
- 300 bis 600 Millionen Rezeptoren
Unterhaut(Subcutis):
- Schutz der Organe und Muskeln durch Fettzellen
- Nährstoffversorgung

Die Rezeptoren transportieren Informationen wie Temperatur, Schmerz, Berührungen, Druck an unser Gehirn. Die Haare auf der Haut sind wie feine Antennen und registrieren jede Berührung. Die Haut vergisst nichts und ist der Spiegel der Seele. Sie ist das älteste und grösste Sinnesorgan. Ca. 5kg und 2m2 Fläche. Die Tastrezeptoren an den Händen brauchen wir am meisten. In der Innenhand hat es 17000 Nervenfasern, die Impulse ans Gehirn weiterleiten. Der Informationsfluss bei der Haut funktioniert von innen nach aussen und umgekehrt. Es gibt Sinnesreize durch den ständigen Gebrauch der vielen Rezeptoren und so wird die Hautwahrnehmungsfähigkeit gefördert.
Darum fühlt sich Kuscheln so gut an: Das Hormon Oxytocin
Dieses Hormon ist im Zusammenhang mit Geburt und Stillen bekannt. Durch dieses Bindungshormon wird das Vertrauen zwischen Mutter und Kind gefördert. Aber auch bei Männern ist seine entstressende Wirkung bekannt. Beim Ausschütten von Oxytocin wird die Konzentration des Stresshormons Cortisol gesenkt. Dies reduziert Ängste, stillt Schmerzen und stärkt das Immunsystem. Das Hormon wird durch rhythmische sanfte Hautberührungen aktiviert. Depressive Gedanken können während der Massage zum Stillstand kommen oder verschwinden.
Das macht die Berührungsarmut mit uns
Leider gibt es während der Pandemie eine erschreckende Zunahme von seelischen Belastungen auch bei Kindern und Jugendlichen. Berührungen spielen eine wichtige Rolle für unser gemeinschaftliches Leben. Die Anzahl der Singlehaushalte wächst auch bei vielen jüngeren Menschen. Einsame Menschen haben eine kürzere Lebenserwartung und ein höheres Krankheitsrisiko. Die sozialen Medien reichen nicht aus und gaukeln uns vor, dass wir nicht einsam sind. Durch die pandemiebedingten Massnahmen mit Distanzhalten, keine unnötigen Kontakte zu Mitmenschen, keine Berührungen aus Angst vor Ansteckung oder andere anzustecken, nimmt die Vereinsamung in der Gesellschaft immer mehr zu.
Meine Hoffnung ist, dass diese Situation bald beendet wird und wieder Lebensnotwendige spontane Berührungen möglich sein werden, wie Umarmungen, Küssen, Händehalten….
Menschen sind wie Musikinstrumente, ihre Resonanz hängt davon ab, wer sie berührt.
Robert Schleip, Geboren 1954, Fascienforscher, Buch: Faszien Fitness, 2014
Prof.Paul Kielholz, Psychiatar 1916-1990, Diagnose und Therapie der Depressionen
Dr. Kerstin Uvnäs Moberg, Geboren 1944, Oxytocinforscherin, Buch: Oxytocin das Hormon der Nähe
Arte Mediatek: Die Macht der sanften Berührung
SRF Mediatek: Bitte berühren, Gesunde Streicheleinheiten